Denkbeobachtung - Blog

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Persönliches - Teil I

In loser Folge werde ich (Wilhelm Humerez) hier verschiedene Aspekte meiner Motivation, mich mit der Anthroposophie auseinander zu setzen, darstellen.

Steiner sieht die Anthroposophie als eine Wissenschaft nach naturwissenschaftlichem Vorbild an. Er spricht viele Male in seinen Schriften und Vorträgen von der "Geisteswissenschaft". Liest man seine Vorträge oder Bücher nur ausschnittweise, so sind seine Darstellungen absurd, esoterische Spinnereien und leicht in das Reich der Märchen zu verweisen. Manche halten seine Äußerungen auch für gefährlich, was auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Liest man ausführlicher, so verändert sich dieses Bild nur leicht. Man bekommt einen tieferen Einblick in das Gedankengebäude, aber ein wissenschaftlicher Zugang tut sich nicht so ohne Weiteres auf. So erging es mir viele Jahre, seit meiner frühen Jugend.

Mit Anfang/Mitte zwanzig entstand in mir die Frage: Wenn Steiner von der Anthroposophie als einer Wissenschaft spricht, so muss er diesen Anspruch auch in seinen Schriften und Vorträgen einlösen. Wo finde ich die wissenschaftliche Rechtfertigung? Für mich persönlich suchte ich nach einer Rechtfertigung der Anthroposophie vor mir selbst. Hätte ich diese nicht gefunden, so hätte ich die Anthroposophie als Weltanschauung aufgeben müssen. 

Ich meinte die Rechtfertigung in Steiners grundlegenden philosophischen Schriften zu finden und begann diese zu lesen. Vieles blieb mir unverständlich, ein kleinerer Teil erschloss sich mir. Ich bemerkte in diesen erkenntnistheoretischen Schriften die logische Überprüfbarkeit. Hierzu war keine "Hellsichtigkeit", keine übersinnliche Fähigkeit nötig. An dieser logischen Überprüfbarkeit konnte man sich verhältnismäßig gut festhalten.

Nach einiger Zeit wendete ich mich der Sekundärliteratur zu Steiners erkenntnistheoretischen und philosophischen Schriften zu. Hierbei stieß ich zuerst auf Herbert Witzenmann. Ihn begann ich zu lesen, was mir schwer fiel, da er eine andere Terminologie hatte als Steiner selbst. In dieser Zeit stieß ich durch einen Hinweis einer Person auf die Schriften von Michael Muschalle und Merijn Fagard und war sofort gefesselt. Beide konnten rein mit philosophischem und philologischem Handwerkszeug, logisch und systematisch darstellen, wieso Steiner die Anthroposophie als Wissenschaft ansah und mir darlegen, dass sie, ernst genommen, auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.

Folgende Antworten wurden für mich mindestens partiell eingelöst:

Die Frage nach...

  • der Wissenschaftlichkeit.
  • der systematische Anknüpfung und Anbindung an die Naturwissenschaften. Insbesondere der Hinweis zur Würzburger Schule der Denkpsychologen um Oswald Külpe, die methodisch Steiner sehr nahe stehen.
  • der Überprüfbarkeit. Steiner ist Empirist.
  • sind auch Fragestellungen möglich die auch prinzipiell überprüfbar sind?
  • einer Darlegung der Methoden und Methodenbewusstsein.
  • Die Welt wird auch in übersinnlicher Hinsicht nur durch Denken und Wahrnehmen erschlossen. Es kommen zur sinnlichen Welt nur neue Wahrnehmungsgebiete hinzu. Logisch ist dies denkbar, da nichts dagegen spricht, dass es noch mehr Wahrnehmungsmöglichkeiten gibt, als wir allgemein kennen. Bzw. es lässt sich aus den allgmeinen Wahrnehmungen, die jeder Mensch hat, nicht schließen, das dies die einzig möglichen sind.
  • Steiner stellt ziemlich gut dar, wie man sich diese neuen Wahrnehmungsebenen erschließt, welcher Vorbereitungen es bedarf und das die Naturwissenschaft dazu da ist, den Menschen logisch zu erziehen, um auch im Übersinnlichen, wo Objekt und Subjekt nicht so streng getrennt sind, gedanklich und psychisch bestehen zu können.

Bisher ist der hier aufgezeigt Weg beschreitbar im Sinne von praktisch durchführbar. Auch die Logik, als Grundpfeiler der Wissenschaft, findet ihren angemessenen Platz und wird nicht, wie öfters von mir im anthroposophischen und auch sonstigen Umfeld erfahren, ausgeklammert.

Als ein Leitmotiv für das aktuelle Forschungsvorhaben zur Denkbeobachtung dient für mich folgendes Zitat von Steiner, welches auch die Verbindung zwischen Naturwissenschaft und Anthroposophie aufzeigt:

"Will man nämlich die beste Grundlage schaffen zu anthropologisch-psychologischen Ergebnissen, die bis an die «Erkenntnis-Grenzorte» gehen, an denen sich Anthropologie mit Anthroposophie treffen muß, so kann dieses durch ein psychologisches Laboratorium geschehen, wie ein solches Brentano in Gedanken vorgeschwebt hat. Um die Tatsachen des «schauenden Bewußtseins» herbeizuführen, brauchten in einem solchen Laboratorium keine Experimentalmethoden gesucht zu werden; aber durch diejenigen Experimentalmethoden, die gesucht werden, würde sich offenbaren, wie die menschliche Wesenheit zu diesem Schauen veranlagt ist, und wie von dem gewöhnlichen das schauende Bewußtsein gefordert wird. 

Rudolf Steiner, Von Seelenrätseln, GA 21, S. 170 f.

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